Der Anachronistische Zug Oder Freiheit, Die Sie Meinen Songtext
Franz Josef Degenhardt
von Mehr Songtexte
Der Anachronistische Zug Oder Freiheit, Die Sie Meinen Songtext
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Der anachronistische Zug, oder Freiheit, die sie meinen
Diesmal wurd es Herbst im Land.
Über Smog und Glasbauwand flog das erste braune Laub, schmutzig, welk, und wurde Staub, als aus Tälern und von Höhen, wo die weiten Villen stehen, pomphaft zog ein bunter Zug, der ein breites Spruchband trug, darauf stand in steiler Schrift, schwarz, verwaschen und verwischt: Freiheit.
Vorneweg in Weihrauchschwaden Goldmonstranzen und Prälaten, Baldachin, Brokatgewänder, Oberhirten, Wahrheitsschänder, halsbekrauste Theologen, knochig, dürr und krummgelogen, Presbyter und Synodale, und die sangen im Chorale: wollest vor Revolutionen, Herr, uns allezeit verschonen. Freiheit.
Dann im Gleichschritt, Glied zu viere, hohe Nato-Offiziere, Eisenorden auf den Brüsten aus dem Raubkrieg der Faschisten. Folgten muskulöse Nacken, Herrn mit ausgebeulten Jacken, BND und CIA, und die riefen liberty, freedom, Freiheit überall, ungeteilt bis zum Ural. Freiheit.
Dann ein paar Verfassungsrichter, heimlich grinsende Gesichter. Über ihren roten Roben, hielten sie verkrampft erhoben Grundgesetze wie zum Hohn, hundertmal geändert schon: Aufrüstung, Gesinnungsstrafen bis zu Notstandsparagraphen. Greisenzittrig riefen sie: Freiheit und Demokratie. Freiheit.
Dann die Kultusbürokraten warfen Eier und Tomaten. Hinter ihnen Professoren, Ordinarien, Rektoren, vom Bund Freiheit der Wissenschaften, die ihre Talare rafften mit den money-geilen Händen. Sie skandierten wie Studenten: Haltet Wissenschaften frei von Marx und Mitbestimmerei. Freiheit.
Dann die Laien-Ideologen, bunt und lustig angezogen: Werbeleute, Intendanten, Redakteure, Obskuranten, die sich krumm prostituierten und für alle Herren schmierten, die Bestechungssummen boten. Die mit ihren feuchten Pfoten lobten laut das freie Wort, hochbezahlt an jedem Ort. Freiheit.
Na, und schließlich ganz zum Schlüsse fuhr die große Staatskarosse mit Ministern undsoweiter,
und die waren ziemlich heiter, schwenkten ihre steifen Hüte. Wir sind jetzt die neue Mitte, riefen sie, es ist gelungen, und das Band ist fest geschlungen um Arbeit und Kapital. Das kommt von der freien Wahl. Freiheit.
Und vorbei an der Tribüne zog der Zug an der Tribüne. Und da saßen ein paar Herrn, Leiter von ein paar Konzern. Und das waren kluge Kenner, klardenkende, ernste Männer, die Millionen dirigierten, und die auch mit Weitsicht führten. Machten keine Sprüche mit. Freiheit hieß für die Profit. Freiheit.
Saßen da mit ernsten Mienen. Und dann sprach einer von ihnen: Meine Herren, auf die Dauer sind doch das nur noch Kalauer. So was überzeugt nicht lang mehr, dieses Stimmvieh, genannt Wähler,
brauchen was aus einem Guß: diesen Dingsbums - Sozialismus mit dem menschlichen Gesicht, meine Herrn, sonst läuft das nicht mehr länger mit der Freiheit.
Ja, es wurde Herbst im Land. Über Smog und Glasbauwand flog das erste braune Laub schmutzig, welk und wurde Staub. In die Täler, auf die Höhen, wo die weiten Villen stehen, pomphaft zog der bunte Zug. Und der graue Herbstwind trug Stimmen über Feld und Wald, aber sie verwehten bald. Freiheit.
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